Oft essen wir nebenbei, schnellschnell oder einfach zwischendurch. Dabei sollten wir wieder viel mehr Zeit fürs Essen einräumen, meint das Ernährungsduo Sonja Ricke und Helena Kistler-Elmer.
Warum ist uns das aufmerksame Essen nicht mehr so wichtig?
Helena Kistler-Elmer: Wir pflegen nicht mehr die gleiche Beziehung zum Essen, wie wir es früher getan haben. Man könnte sagen, es ist uns zu wenig produktiv oder gar zu langweilig. Oft essen wir allein, nicht mehr mit der Familie oder schnell zwischendurch, weil uns andere Dinge wichtiger sind.
Sonja Ricke: Wie zum Beispiel das Handy. Oder was uns sonst noch beschäftigt. Sei es die Serie im Hintergrund, die Gedanken, die schon um den nächsten Termin kreisen oder eben – das Handy. Die Möglichkeiten, sich während des Essens mit etwas anderem zu beschäftigen, sind beinahe grenzenlos.
Mindful Eating wirkt dem entgegen. Was genau versteht man darunter?
Kistler-Elmer: Kurz gesagt geht es darum, das Essen mit allen Sinnen wahrzunehmen. Für den Moment ist das Essen und man selbst das einzig Wichtige. Frei nach dem Motto: «Wenn ich esse, dann esse ich.»
Ricke: Es geht jedoch nicht nur um die Mahlzeit selbst. Auch gezielt auszuwählen, was und wo wir essen, langsam zu essen, selbst zu kochen und dafür ganz bewusst einzukaufen, gehören genauso dazu, wie das Sehen, Riechen, Schmecken, Hören und Spüren der eigentlichen Mahlzeit.
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« Von der Hand direkt in den Mund ist bereits zu schnell.»
Eine Mahlzeit hören? Ist das nicht komisch?
Ricke: Ganz im Gegenteil. Stellen Sie sich vor, Sie beissen in eine Karotte und es erklingt kein krachendes Knacken. Wäre das nicht komisch? Es ist allerdings nicht nur das Krachen einer knackigen Karotte, sondern auch der Duft eines guten Kaffees, der Geschmack einer richtig guten Erdbeere, die Farbe eines reifen Apfels oder das Gefühl von frischem Popcorn auf der Zunge. Mit jedem Biss können wir selbst entscheiden, ob wir diese Eindrücke ganz bewusst wahrnehmen und wertschätzen möchten. Geschmäcker erscheinen dadurch nicht nur intensiver, sondern wir essen automatisch auch bedarfsgerechter. Gleichzeitig nehmen wir Körpersignale besser wahr und essen nur so lange, bis wir satt sind.
Was bringt uns das bewusste Essen sonst noch?
Kistler-Elmer: Abgesehen davon, dass wir durch das achtsame Essen lernen, wann wir satt sind, hilft es uns auch beim Erinnern. Und zwar an das, was und wann wir zuletzt gegessen haben. Setzen wir uns nämlich mit jeder Mahlzeit auseinander, prägt sie sich besser ins Gedächtnis ein. So lässt sich unkontrolliertes Snacken vermeiden.

Was sind Ihre Empfehlungen für den Alltag?
Ricke: Es geht darum, sich wieder ganz bewusst mehr Raum für das Essen zu geben. Nicht nur auf Sinnesebene, sondern auch darüber hinaus. Zeigen Sie Interesse an dem, was Sie essen. Woher kommt es und was steht auf der Zutatenliste? Sind es Fertig-Tortellini aus dem Supermarkt oder sind es frisch zubereitete Spätzli? Dazu gehört auch, gelegentlich den örtlichen Wochenmarkt zu besuchen oder die Erdbeeren im Sommer direkt vom Feld zu pflücken.
Kistler-Elmer: Es kann auch helfen, sich darüber Gedanken zu machen, wo man isst. Vor dem Fernseher, am Esstisch oder gar im Stehen, weil einem die Zeit im Nacken sitzt? Richten Sie sich einen schönen Essplatz her. Lassen Sie Licht hinein, nutzen Sie ein schönes Tischset und vielleicht dekorieren Sie sogar mit frischen Blumen. Sie werden sehen, Sie nehmen sich gleich viel lieber Zeit fürs Essen.
Was raten Sie für die nächste Mahlzeit?
Kistler-Elmer: Wählen Sie einen schönen Platz für Ihre nächste Mahlzeit. Bevor Sie mit dem Essen beginnen, halten Sie kurz inne. Fokussieren Sie sich ganz auf das Essen. Für den Anfang reicht es, wenn Sie die volle Aufmerksamkeit auf die ersten fünf Bisse richten. Jeder Biss gilt dann einem Ihrer fünf Sinne. Am besten beginnen Sie mit dem, was Sie sehen. Dann, was Sie riechen und arbeiten sich so weiter vor. Wer möchte, kann zum Schluss der Mahlzeit auch noch eine Bewertung von null bis zehn abgeben. So wird einem zusätzlich auch noch bewusst, was einem besonders gut schmeckt und welche Kriterien eine gute Mahlzeit ausmachen.