Teuer, elitär, versnobt – kaum eine Sportart ist mit derart vielen Vorurteilen behaftet wie das Golfen. Zurecht? Südostschweiz Sportjournalist Roman Michel macht den Selbsttest im Golf Club Heidiland.
Woche 1
Jetzt ist es auf dem Tisch. «Du, Golf?», fragte mich ein Kollege (übrigens selbsternannter Minigolf-Spezialist), als ich ihm von meiner Absicht erzählte, diesen Sommer die Golf-Platzreife zu erlangen. «Ja, ich Golf», antwortete ich überzeugt. Pause. Lachen. Er: «Sicher? So alt bist du doch noch nicht.» Pause. Ich, nicht mehr ganz so überzeugt: «Wie?» Lachen. Er: «Hast du wenigstens die weissen Hosen schon gewaschen?»
Drei Tage später stehe ich auf dem Golfplatz – lässige dunkelblaue Shorts, ein sportliches Poloshirt. Irgendwie ein bisschen Strandlook. Leicht und bequem soll die Kleidung sein, hat man mir im Golfshop gesagt. Ist sie. «Schaut gut aus», sagt Paul in englischem Akzent. Randbemerkung: Mein Lehrer, pardon «Pro» (so heisst das in der Golfsprache) trägt schwarze Hosen.

«Na dann, let's go.» Let's go. Wenn's doch nur so einfach wäre. Ich komme mir vor wie in meinen ersten Minuten am Steuer eines Autos. Die Anweisungen klingen ganz easy. Doch kaum legst du los, rattert der Motor und stirbt nach ein paar Sekunden ab. Hüftbreit stehen, Ball in der Mitte, leicht in die Knie, mit dem Oberkörper nach vorne, die Schultern locker halten, Arme strecken. Bis knapp zur Hüfte ausholen – und dann voll durchschwingen. Beim ersten Versuch schlage ich voll in den Boden. Statt Ball fliegt Rasen.
Haben Sie gewusst, dass...
... der Golfschwung der vielleicht komplizierteste Bewegungsablauf in der Sportwelt ist? Dass rund 130 Muskelgruppen im richtigen Moment im richtigen Tempo das Gewünschte tun müssen?
Wie man davon Muskelkater bekommen soll, ist mir nach meiner ersten Unterrichtsstunde dennoch nicht ganz klar. Dafür anderes: Mein Ball fliegt tatsächlich. Manchmal gar in richtig schönem Bogen. Meine Bewegung fühlt sich zwar an, als hätte ich einen Stock im Rücken. Im Video aber wirkt sie – so viel Selbstlob muss sein – durchaus elegant.
Pauls Aufnahmen sind so was wie mein Assistenztrainer. Ein Assistenztrainer, der nichts, nein gar nichts übersieht. Nicht die Hüfte, die sich beim Ausholen leicht drehen. Nicht das Handgelenk, das sich beim Schlag selbstständig macht. «You played tennis, right?» Ja, habe ich. «Das wird dir noch viel bringen», sagt Paul. Hoffen wir es doch. Nur eben... das Handgelenk. Mit gelben Punkten, Kreisen und Linien markiert Paul meine Problemstellen. Und wenige Sekunden später habe ich mein individuelles Video – inklusive Kommentar – auf WhatsApp. Irgendwie cool. Irgendwie praktisch. Und irgendwie: so gar nicht elitär. Als «Paradebeispiel» schickt mir Paul auch noch einen Abschlag-Clip von Tiger Woods. Randbemerkung: Hosenfarbe schwarz.
Schon am Folgetag stehe ich wieder auf dem Übungsplatz. Dieses Mal ohne Paul. Nur mit Assistenztrainer. Nieselregen. Ein Glück, habe ich mir im Golfshop auch lange Hosen besorgt. Wieso ich mich für das weisse Paar entschieden habe? Keine Ahnung. Rund 70 Bälle schicke ich ins weite Grün. Wobei ein grosser Teil nicht fliegt sondern rollt, spüre ich erstmals diese Freiheit der Natur. Diese Weite. Diese entspannte Atmosphäre. Und am Ende meine Schultern. Müde bestelle ich mir im Heidiland Golf Bistro ein Isostar. Von wegen Cüplisport.
Woche 3
Ach, wie einfach war das doch zu meinen Unihockey-Zeiten. Als ein Stock genügte, um Tore zu schiessen, zu dribbeln und zu verteidigen. Als ich die Stocktasche lässig über die Schultern schwingen und mit dem Velo ins Training fahren konnte.
Im Golf genügt ein Schläger (pardon: Eisen) nicht. Auch nicht zwei oder drei. Gefühlt für jeden Schlag kommt ein neues Arbeitsinstrument hinzu. Meine Eisensammlung ist nach Trainingslektion Nummer 3 mittlerweile auf sieben angewachsen. Sieben. Der zwanzigminütige Weg vom Bahnhof (ja, ich bin wohl der einzige Golfer, der mit dem Zug anreist) wird bei Sommertemperaturen zur Tortur. Und die Eisenwahl auf dem Platz zum grossen Rätselraten. «7», «8» oder «P» heissen die Eisen. Gäbe es nicht eingängigere Namen? Vielleicht hätte ich dann nicht zwei Wochen lang mit dem falschen Arbeitsgerät meine Pitching-Schläge (gemäss Golf-ABC Schläge aus ca. 20 Meter Entfernung) geübt. Gefühlte 200 Versuche, gefühlte 200 Mal geärgert, dass der Ball zu flach fliegt. Und gefühlt 200 Mal das Video, dass mir mein Lehrer Paul geschickt hat angeschaut und gedacht: Die Bewegung stimmt doch ganz gut. «Falsches Eisen», sagte Paul am Wochenende beim ersten gemeinsamen Training nach zwei Wochen. Am liebsten hätte ich das «falsche Eisen» gleich irgendwo im Sandbunker verbuddelt. Aber das brauche ich ja sonst noch irgendwo. Wo auch immer.
A propos Sandbunker: Am Sonntag kam Eisen Nummer 7 zu meiner Sammlung hinzu. Wenigstens sagt der eingravierte Namen schon alles: «Sand Wedge». Verwechslungsgefahr: klein. Irgendwie sympathisch. Ganz anders das Spiel im Bunker. Ziel des Schlages ist nicht, den Ball zu treffen, sondern mit dem Eisen rund zehn Zentimeter davor mit voller Wucht in den Sand zu schlagen. Ja, mit voller Wucht. Nach fünf Minuten habe ich mindestens einen Kubikmeter Sand umgepflügt, der Ball liegt aber noch immer seelenruhig an seinem ursprünglichen Platz. Zwischen meinen Zähnen knirschen Sandkörner. Die Augen beissen.
Überhaupt habe ich in meinen ersten Wochen auf dem Golfplatz gemerkt, dass man die Sportart – so seltsam das auch klingt – getrost zu den Risikosportarten zählen kann. Gut, der Bienenstich von meinem zweiten Trainingstag mag etwas Pech gewesen sein. Die Blasen an der Hand scheinen dagegen schon fast dazuzugehören. Und ich ärgere mich, den Handschuh, den mir die Verkäuferin im Golfshop am ersten Tag gab, nicht von Beginn an angezogen zu haben. Auf jeden Fall ist mein Handcrème-Bedarf in den letzten Wochen massiv gestiegen.
Sand in den Augen, Bienenstich am Rücken, Blasen in der Hand – okay, das reicht noch nicht ganz zur Risikosportart. Aber da sind noch die Bälle, die sich manchmal «selbstständig» machen und dabei zur Gefahr für andere Golfer werden können. «Fore» muss man in diesem Fall schreien, so steht es im Knigge. Golfer wissen dann, dass sie sich ducken und den Kopf schützen sollen. Was im Knigge ebenfalls vermerkt ist: Auch wenn niemand getroffen wurde, sollte man sich anschliessend entschuldigen. Ja, auch bei Risikosportarten darf die Höflichkeit nicht fehlen.
Woche 5
Dann fliegt er. Und ich irgendwie mit ihm. Immer höher. Vor allem: immer weiter. Regungslos stehe ich da. Die Hände noch immer über meiner Schulter. Der rechte Fuss leicht angeknickt. In den Ohren hallt dieses metallene Geräusch nach. Dieser Klang, wenn Eisen auf Ball trifft.«The sound of Golf», der mir im Moment des Abschlags bereits gesagt hat: Das kommt gut. Und wie es gut kommt. Der Ball fliegt. Und fliegt. Bis er als gelber Punkt irgendwo im Rasen landet. Ist das das Gefühl, von dem so viele Golfer schwärmen? Diese Leichtigkeit? Diese Freiheit? «Wow, ziemlich genau 100 Meter», sagt Paul, mein Lehrer in der Golf Academy des Golf Club Heidiland, «not bad für die vierte Lektion.» Mit einem Ruck bin ich zurück am Boden. 100 Meter? Nur 100 Meter? Die gelbe Fahne, die die 100er-Marke auf der Driving Range markiert, flattert im Wind. Ja, vielleicht hat Paul recht. Die Leichtigkeit ist plötzlich weg. Trotz Golfhandschuh spüre ich die Blase an meiner linken Hand. Der Rücken schmerzt. Schon nach einer halben Stunde Training. Nur das metallene Geräusch bleibt in meinen Ohren. Und die Worte von Paul: «Ich denke, wir können schon bald mit der Prüfung beginnen.»

Prüfung. Das klingt nach Schule. Nach gefühlt endlosen Lernnächten. Aber nicht nach Sport. Vielleicht habe ich darum bis anhin einen Bogen um Golfplätze gemacht. Vielleicht hat sich darum das elitäre Golfbild in meinem Kopf festgebrannt. Welche Sportart braucht schon eine Prüfung. Nein, nicht nur eine praktische. Auch eine theoretische. 47 Seiten hat das Theorie-Büchlein, das mir Paul schon am ersten Tag mitgegeben hat. Handliches A6-Format. Spiralgebunden. «Bestseller, 1,5 Millionen Mal verkauft» steht unübersehbar in pink auf dem Cover. Wie viele davon die Prüfung geschafft haben, hätte mich fast mehr interessiert. Wobei: Gemessen an der Anzahl Golfer auf dem Platz dürfte die Durchfallquote nicht allzu hoch sein.
Doch ob sie alle Regeln intus haben? Ob sie wissen, dass ein Spieler, der fünf Minuten zu spät auf dem Platz erscheint, disqualifiziert wird? Dass ein Spieler die Runde nicht «ohne triftigen Grund» (z.B. lediglich wegen starken Regens) unterbrechen darf? Oder dass nicht mehr als 14 Eisen im Bag erlaubt sind? Immer dabei sein darf hingegen das Regel-Büchlein. Immerhin. Und auch bei der Theorie-Prüfung ist es zum «Spicken» erlaubt. Wobei: Waren nicht die Tests mit Hilfsmittel in der Schule jeweils die schwersten? Zumindest mir ging es meist so...
Auf jeden Fall habe ich die Biografie von Pep Guardiola von meinem Nachttisch in die Schublade verlegt. Als Bettlektüre gibt es seit einigen Tagen eine Dosis Golf-Regeln. Nur von Abschlägen über 150 Metern träume ich nicht. Das will ich auf dem Platz schaffen.
Woche 7
Okay, ich geb's zu. Ich hatte am Sonntag Muskelkater. Nicht einfach ein bisschen. Nein richtig. So richtig, dass es kaum am Wäscheaufhängen am Vortag lag. Wohl auch nicht am mehrmaligen Bücken um die paar wenigen 1.-August-Raketen in die Luft zu lassen. Und erst recht nicht am Wenden der Fleischspiesse auf dem Grill. Bleiben nur noch die je rund zwei Stunden auf dem Golfplatz an den Tagen zuvor. Golf? Muskelkater? Es ist noch nicht lange her, da habe ich gelacht, als mich die Verkäuferin im Shop des Golfclub Heidiland vor meiner ersten Golflektion vor den möglichen körperlichen Folgen warnte. Kann nicht sein, dachte ich mir. Im Nachhinein ist man immer schlauer. Was für eine abgedroschene Redewendung. Aber eben: Sie hat etwas wahres.
Doch was schreibe ich hier von Muskelkater? Morgen Freitag gilts ernst. Praxisprüfung, Teil 1. Zur Erklärung brauchts einen kurzen Exkurs in den «Golf-Slang».
- Aufgabe 1: Pitchen ins Green. Übersetzt: Jener Schlag, mit dem man den Ball aus etwa 20 bis 30 Meter ins Grün spielt.
- Aufgabe 2: Putten. Übersetzt: Jener Schlag, mit dem man den Ball aus kurzer Distanz einlocht. Wie Minigolf (ach wie schön, gibt es im Golf keine Löcher auf einem Vulkan oder sonstige abstruse Hindernisse). Je drei Bälle aus drei, sechs, respektive neun Meter gilt es mit total 21 Schlägen zu versenken. Heisst pro Ball... lassen wir es.
- Aufgabe 3: Abschlag. Übersetzt: ähm, braucht es nicht. 60 Meter weit soll der Ball fliegen. Mindestens. Und hier beginnt die Geschichte mit dem Muskelkater. Als ich Paul, mein PGA Professional (übersetzt: Lehrer), in unserer letzten gemeinsamen Unterrichtsstunde meinen Abschlag vorführen wollte, ging gar nichts mehr. Und Paul? «In einer halben Stunde haben wir das.»

Videoanalyse. Die Arme sind zu stark gestreckt, nicht locker genug. Das Kinn muss etwas mehr nach oben. Die Arme leicht zurück. Es geht um Details. Um Millimeter, die sich in ein paar Meter Länge umwandeln sollen.
Üben vor dem Spiegel. Immer wieder schlage ich einen imaginären Ball vom Rasenteppich. Beobachte mich dabei selbst. Und komme mir ziemlich ungelenk vor.
Eisen auf die Seite. Trockenübungen. Paul drückt an meiner Schulter. Und ich spüre erstmals die Vorzeichen von Muskelkater.
Eisen in die Hand. Zurück auf den Rasen. Checkliste. Arme locker. Schultern zurück. Kinn hoch. Arm beim Schwingen parallel zum Boden. Gestoppt habe ich nicht. Aber die halbe Stunde dürfte ziemlich exakt gewesen sein.

Es ist eindrücklich, wie schnell man im Golf Fortschritte macht. In diesem Sport, der von aussen immer so elegant und darum auch schwer aussieht. Eines habe ich schnell gemerkt: Nur mit Kraft läuft wenig. Es braucht zu Beginn ein paar Lektionen bei einem professionellen Golflehrer. Und es braucht die Disziplin, zwischendurch auch mal alleine aufs Übungsgelände zu gehen – und Ball für Ball Richtung Himmel zu schlagen.
Womit wir zurück beim Muskelkater sind. Früher sagte ich jeweils, ein Sport ist nur ein Sport, wenn es nach den ersten zwei, drei Trainings Muskelkater gibt. Womit klar ist: Ja, Golf ist definitiv ein Sport.
Woche 9
Ist Ihnen eigentlich bewusst, wie viele akustische Töne Ihr Smartphone drauf hat? Dass Sie etwa während zwei Monaten jeden Morgen von einem anderen Klingelton geweckt werden könnten? Oder dass Sie Anrufsignale mit Namen mit «An der Strandpromenade» oder «Nachtwandler» auswählen können? Ich kenne mein Handy. Weiss, welcher «Sound» zu meinem Gerät gehört. Dachte ich... Bis zur letzten Woche und dem Plopp-Geräusch meines Facebook-Messenger-Pushs. Wer mir schreibt, tut das auf WhatsApp. Instagram. Vielleicht Twitter. Facebook Messenger? Das war mal. Patricks Nachricht ist kurz. «Du spielst Golf? Cool. Müssen wir unbedingt mal zusammen auf den Platz.» Fertig. Patrick. Ein Kollege aus Oberstufenzeiten. Seit Jahren nichts mehr von ihm gehört. Keine Ahnung, was Patrick heute macht. Keine Ahnung, ob er noch immer im Aargau wohnt. Aber er spielt Golf. Der Patrick, der in der Kochschule beim Apfelkuchen einst Zucker mit Salz verwechselte. Der selbst bei Prüfungen darum kämpfte, sein «Cap» nicht ablegen zu müssen (wegen Style und so). Der mindestens einmal pro Monat dem Abwart beim «Fötzle» helfen musste. Patrick der Golfer. Ich schmunzle.
Wer spielt eigentlich Golf? Ein paar Mal habe ich mir in den letzten Wochen diese Frage gestellt. Die Elite. Die Reichen und Möchtegern-Reichen. Und die Fussballer. Mal den Namen eines Fussball-Profis bei Google «X + Golf» eingeben. Fast immer ein Treffer. Schauen Sie sich mal die Hotels an, die die Fussball-Nationalteams während EM- oder WM-Turnieren jeweils als Home Base auswählen: Logisch braucht es einen Pool. Eine gute Internetverbindung. Und eben: einen Golfplatz.
Wer spielt eigentlich Golf? Dass ich mit meinen 27 Jahren das Durchschnittsalter auf dem Green leicht nach unten drücke, fiel mir ziemlich bald auf. Aber ist ja schön, mit 27 noch zu den «Jungen» zu gehören. Nur: der Jüngste bin ich längst nicht. Da ist der Vater, der mit seinem höchstens zwölf jährigen Sohn bestimmt jedes dritte Mal wenn ich in der Driving Range stehe ebenfalls Bälle ins weite Feld schlägt. Da ist der kleine Junge, der – stets mit seinen Airpods in den Ohren – seelenruhig Ball für Ball im Loch versenkt. Und da ist die Familie mit ihren drei Kindern, die ich am vergangenen Wochenende erstmals getroffen habe. Jeder Junior ausgerüstet mit Poloshirt, eigener Golftasche und Sonnenhut. Das Bild erinnerte mich an meine Kindheit – nur gingen wir damals Minigolf spielen.
Wer spielt eigentlich Golf? Der BMW-Fahrer mit ZH-Nummer und elektrischem Golfbag genauso wie der Journalist, der jeweils mit dem Zug anfährt und seine (doch schon ansehnliche) Eisensammlung auf seiner Schulter schleppt. Der Cüplitrinker genauso wie der Schorleschlürfer. Und eben Patrick. Und ich. Bald. «Musst dich noch etwas gedulden, bin noch 'in Ausbildung'», schreibe ich Patrick zurück. Seine Antwort: «Kein Problem, bin momentan sowieso in den Golfferien.» Patrick, der Golfer.
Mache ich auch bald Golfferien? Komme ich auch bald mit dem elektrischen Bag auf den Platz? Zuerst konzentriere ich mich auf den Abschluss meiner Prüfung. Der Praxisteil im Übungsbereich ist durch. Der Theorietest bestanden. Am Samstag folgt der dritte und letzte Schritt: Das erste Mal auf dem Platz. Dem richtigen Platz. Danach kann ich hoffentlich Patrick schreiben. Um unser erstes Tee Time abzumachen. Mittlerweile habe ich seine Nummer.
Woche 13
Mathematik war nie mein Ding. Das Jonglieren mit Zahlen nicht meine Passion. Ich versuche mich anzustrengen. Scheitere aber auch beim dritten Versuch. «Das lernst du mit der Zeit», sagt PGA-Professional Paul, mein Golf-Lehrer. Eben versuchte er mir nochmals zu erklären, was die Zahlen auf meiner Scorekarte bedeuten. Erfolglos. Aber was soll's. Neben mir liegt das hellblaue Papier, für das ich die letzten Wochen und Monate gearbeitet habe: Das Zertifikat für die Platzreife. Die «Carte blanche» im Golfsport quasi. Ich bin Golfer.
Vielleicht hat die Hitze auf der Terrasse des Golfclubs Heidiland in Bad Ragaz ihren Einfluss, dass die Zahlen nur so vor meinen Augen schweben, nicht aber Eingang in meinen Kopf finden. Vielleicht auch der Marathon, den ich hinter mir habe. Ein Marathon für Geist und Körper. Kurz vor vier zeigt die goldene Uhr am Start der Golfanlage. Meine Golftasche steht auf einem Trolley mit Rädern. Mein Hemd flattert leicht im Wind. «Was erwartet mich nun?», frage ich mich. Studiere die Tafel des ersten Lochs. 260 Meter. Kurz zucke ich zusammen. 260 Meter. Der erste Schlag. Das metallene Geräusch, als der Schläger den Ball trifft. Dieses Gefühl der Freiheit. Der Unbeschwertheit.
Sechs Schläge später liegt der Ball im Loch. Ich fühle mich irgendwie ziemlich cool, als ich den Putter in meinem Trolley verstaue und zusammen mit Paul locker zu Loch 2 schlendere. 90 Meter. Klingt easy. Nur hat das Ganze auf den zweiten Blick seine Tücken. In Form eines Sandbunkers. Mitten auf der Achse zwischen Abschlag und Green. Paul bemerkt mein Zögern. «Den Bunker ausblenden, sonst kommt's nicht gut», rät er. «Wie bei einem roten Elefanten. Wenn dir jemand sagt: 'denke nicht an rote Elefanten, siehst du nur noch rote Elefanten'.» Vor mir huscht ein roter Elefant über den Golfplatz. Ich schüttle meinen Kopf. Vier Schläge, dann ist auch Loch 2 geschafft. Ohne Ausflug in den Sandbunker.
So geht das weiter. Ich vergesse Gefühl für Zeit und Distanz. Bin erstaunt über die Weite. Golfplätze zerstören die Natur, heisst eines von vielen Golf-Klischees. Ich merke: Nein, Golfplätze sind Natur. Wasserläufe, ein kleiner See, eine Baumgruppe, grüne Wiesen. Aber eben auch Wurzeln. Herumliegende Zweige. Laubblätter. Immer wieder bleibt mein Schläger an vermeintlich kleinen Hindernissen hängen, die Bälle landen bevor sie erst fliegen. Ein Ball verschwindet im Gestrüpp. Sehnsüchtig denke ich an den perfekt geschnittenen Rasen auf der Übungsanlage. Aber es gibt auch die Erfolgserlebnisse. Jedes erfolgreich absolvierte Loch ist so eines. Die Unterstützung von Paul. Und Loch 7. Nach drei Schlägen liegt mein Ball im Loch.
Als wir nach Loch 9 ins Golfhaus zurückkehren, zeigt meine Fitnessuhr am Handgelenk kurz nach halb sechs an. Erst jetzt merke ich meine Müdigkeit. Eineinhalb Stunden. Knapp fünf Kilometer zu Fuss. Wie ich mich nach einer 18er-Runde fühlen würde, versuche ich mir gar nicht auszumalen. Von wegen, Golf sei kein Sport. Und die wirkliche Prüfung folgt ja erst noch. Zahlenrätsel.
Roman Michel
Der 27-Jährige Sportjournalist will diesen Sommer die Platzreife erlangen. Von 0 auf 100. Einen Golfschläger hatte er zuvor noch nie in der Hand. In regelmässigen Abständen berichtet er über seine Erlebnisse, die Begegnung mit den typischen Golfklischees – und hoffentlich über seine Fortschritte.
